Das Geheimnis des Zehnten

Wie beschreibt man ein Geheimnis? Gar nicht so einfach. 

Ich bin nicht damit groß geworden, dass man regelmäßig einen Teil seiner Einkünfte spendet. Kollekte gibt man und Spenden hin und wieder auch, aber den Zehnten lernte ich erst vor 20 Jahren in meinem FSJ im BRUNNEN kennen. 

Es schien mir damals sehr verrückt. Ich bin im Wesen eher sparsam und es gab Zeiten, da war ich bestimmt schon fast geizig, konnte mir nichts gönnen – nur ein Wasser in der Kneipe. Ich hatte Freude daran zu sparen. Bei uns gab´s nicht so viel Taschengeld, aber ich habe von der 5. bis zur 12. Klasse Zeitungen ausgetragen, um mehr Geld zu haben. Mehr Geld – das erschien mir schon als Kind und Jugendliche gut – am liebsten zum Sparen. Davon etwas abgeben, erschien mir sehr abwegig. Eines meiner Grundgefühle war und ist es bestimmt immer noch zuweilen: „Ich komme zu kurz.“ Deshalb: Geld verdienen, sparen,  selbst für genug sorgen. 

Im BRUNNEN erlebte ich: Ich kann hier im Jahresteam sein, weil es Menschen gibt, die spenden. Ich friere im Winter nicht, weil Menschen spenden und Öl gekauft werden kann. Dabei ging und geht es im BRUNNEN ja nicht um ganz kleine Summen. Zumindest für mich als Freiwillige war eine vierstellige Ölrechnung beeindruckend. 

Das Thema ging mir nach und ich erlebte auch an diesem Punkt: Nachfolge ist nicht Nachdenken. Nachdenken – das liegt mir nahe, fällt mir leicht. Aber Jesus ruft uns nicht auf, um über ihn nachzudenken (auch wenn das sehr schön ist und nicht schadet), sondern er ruft uns in seine Nachfolge - in ein Tun. 

Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie, sprach einer meiner Theologiedozenten in der Ausbildung. Deshalb an dieser Stelle ein keiner Exkurs: 
Das Konzept des Zehnten ist recht komplex und wird an verschiedenen Stellen im Alten Testament aufgeführt. Dabei gibt es nicht den einen Zehnten, sondern verschiedene Abgaben für verschiedene Zwecke, unter anderem für die Versorgung der Armen  oder der Leviten in Stiftshütte oder Tempel, die keinem klassischem Broterwerb nachgehen konnten, da sie den Tempeldienst verrichteten. 

Im Neuem Testament gibt es keine spezifische Aufforderung den Zehnten zu geben. Geld und Besitz sind jedoch bei Jesus ein Thema und auch in der Apostelgeschichte und in den Briefen geht es durchaus mal ums Geld. 

Was heißt das nun für meine Nachfolge? 

Für mich: Es geht nicht um Fragen wie: Den Zehnten vom Brutto oder vom Netto? Muss ich jeden zugesteckten Schein von Oma mit berechnen? 

Oder gar Fragen à la: Segnet mich Gott, wenn ich meinen Zehnten gebe? Habe ich dadurch einen Vorteil? Entzieht Gott mir seinen Segen, wenn ich nicht spende? 

Das alles sind Fragen, die nichts mit der Freiheit zu tun haben, die uns in Jesus verheißen ist – „Zur Freiheit hat uns Christus befreit. So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen.“ (Gal 5,1), schreibt Paulus an die Galater. 

Dennoch mache ich jedem Mut, den Zehnten zu geben – wie man es auch für sich persönlich ausgestaltet. 10% von 100% - das heißt es bleiben 90% für mich und mein Leben. Das ist ganz schön viel. 90% bedeuten: Nicht alles, aber fast alles. 

Nach meinem Freiwilligendienst bin ich dann zum Studium und konnte Bafög empfangen und davon auch leben und ich überwand mich, das Risiko einzugehen und fast alles zu behalten, aber eben auch eine für mich damals sehr große Summe - 10% meines Bafögs - zu spenden. 

Im BRUNNEN habe ich selbst erlebt, was möglich wird, wenn Menschen ihr Geld teilen, es weitergeben in Gottes Reich und zu Menschen in Not. Dabei gebe ich mein Geld oft dorthin, von wo ich Segen empfangen habe. Ich unterstütze, was mir wertvoll geworden ist und ich lasse mich auch immer wieder bewegen und ansprechen von konkreter Not. 

Worin liegt nun das Geheimnis? 

Für mich: Ich bin noch nie, in all der Zeit, zu kurz gekommen. Seit meinem Studium tue ich es einfach, ohne monatlich in Frage zu stellen, ob ich es mir leisten kann. Ich gebe meinen Teil ab. Immer in einer Mischung aus festgelegten Daueraufträgen und einem Betrag, den ich frei entscheide. Ich hinterfrage es nicht mehr, weil ich das Geheimnis spüre. Ich spüre, wie sich mein Verhältnis zum Geld und zu Gott verändert hat. 

Ja, ich kann mich immer noch zu kurz gekommen fühlen und ja, ich spare immer noch sehr gern. 

Aber ich merke, seit nun bald 20 Jahren: Ich werde versorgt. Ich muss nicht alles festhalten aus der Angst heraus, dass es nicht reicht. Es ist ein Geheimnis, kein Automatismus. Ich weiß nicht, ob ich deshalb sagen kann: Ich habe immer genug gehabt, weil ich den Zehnten gebe. Vermutlich nicht. Vorher hatte ich ja auch genug. Aber ich glaube, das Geheimnis liegt darin, dass ich genau das nicht weiß und dass ich erlebe: Ich darf Gott vertrauen und ich darf das, was mir anvertraut ist, verantwortlich gebrauchen für mich und andere. 

Darin liegt ein großer Segen. Und das geheimnisvolle, für mich nicht zu Fassende. Vieles entzieht sich mir. Gott ist einfach größer, anders und so viel mehr.

Aber das Weggeben meines kostbaren Geldes, was ich doch vielleicht gebrauchen könnte, gerade, weil wir nicht so viel haben, richtet mich aus. Es richtet mich auf den aus, der mich und unsere Familie versorgt. Es verändert meinen Blick auf das Geld, das nicht um seiner selbst Willen da ist, sondern uns und anderen zum Leben dienen soll. 

Gut war es im Studium mit 70 Euro anzufangen. Heute als Familie haben wir natürlich einen anderen Umsatz an Gütern. Auch hier trifft zu, dass es sich lohnt im Kleinen zu beginnen und treu zu sein. 

Ich bin jedes Jahr erstaunt, wenn ich die Spendenbescheinigungen addiere. Zunächst muss ich manchmal etwas schlucken – so viel Geld – und dabei sind wir ja nicht reich. Dennoch können wir so viel weggeben und sind so gut versorgt. Natürlich bleiben manchmal Wünsche offen, aber unsere Bedürfnisse sind mehr als erfüllt. 

Dieses ganze Geld, was ich weiterreichen darf – es ist ja nicht weg, sondern nur woanders – wird hoffentlich Menschen zum Segen und wir als Familie dürfen uns auch finanziell beteiligen am Bau des Reiches Gottes. 

Darin liegt der Schatz und das Geheimnis. Gott meint es gut, sieht mich und uns und was wir haben kommt von ihm. Gott sei Dank.