Ein Blick in unser aktuelles inneres Geschehen: wellenartige Herzensbewegungen, Fragen, Schwierigkeiten und Freiheit nach vorne
Ein Satz, der mir beim Thema Vergebung sofort in den Sinn kommt und den ich bei TeamF gelernt habe, heißt: „Ich trete mein Recht darauf, jemand eine Verurteilung nachzutragen an Jesus ab und lasse ihn allein Richter sein.“
Ich habe also das Recht nachzutragen. Nachtragen, weil mir ein anderer Unrecht tat. Dafür kann ich ihn verurteilen. Ich kenne sie, die inneren Vorwürfe, die mir Recht geben, eben weil UN-Recht geschehen ist. Es dürfen sich heftige Gefühle bemerkbar machen - auch bei Christen.
Nachtragen, das empfundene Unrecht dem anderen vorhalten, insgeheim um Verständnis zu wecken für seine Fehler. Er soll sich ändern, damit mir diese Verletzung nie mehr angetan wird.
Wer nachträgt, der trägt.
Ich trage und schleppe, nehme Vorwurf um Vorwurf ins Ge(h)päck, laufe dem andern hinterher. Nachtragen kann unter Umständen lange dauern. Zum Beipiel, wenn beim Gegenüber keine Einsicht geschieht, vielleicht auch gar nicht geschehen kann, oder gar nicht geschehen muss. Und wer ist dabei der das Leid-Tragende? Genau: ich selbst. Blöd eigentlich, ärgerlich dazu und schwupps bin ich in einer endlosen Spirale, gefangen in mir selbst. Ich bin darauf angewiesen, dass der andere sich umdreht, sich mir zuwendet, sich meiner Last annimmt. Gefangen auch darin, dass ich machtlos bin, handlungsunfähig. Ich bleibe in Abhängigkeit und das als erwachsener, selbstständiger Mensch.
Noch einmal: wer nachträgt, der trägt. Ich habe somit entschieden aktiv zu sein, nämlich nachzutragen. Ich bin also handlungsfähig. Stelle ich fest, Nachtragen schadet mir, habe ich auch die Möglichkeit mich umzuentscheiden.
Genau hier greift die Aufforderung der Bibel zu vergeben. Ich, Du, wir sind dem Unrecht, das geschehen ist, nicht hilflos ausgeliefert. Wir dürfen vergeben!
Als Gemeinschaft erleben wir, es gilt einen Weg zu gehen, jeder durchläuft seinen eigenen Prozess. Dennoch ist es für uns wichtig, auch einen gemeinsamen Weg zu gehen.
Vergebung braucht Zeit...
...nicht damit Gras über die Sache wachse, sondern um in Ruhe die Enttäuschung, den Schmerz, meine eigenen Vorwürfe anzusehen, dabei zu entdecken, wie viel das mit mir selbst zu tun hat. Wieso konnte mich der andere so treffen? Was genau ist mein wunder Punkt? Wie sehr war der Andere nur Auslöser und gar nicht Verursacher? Wo bin ich von mir enttäuscht? Bin ich auch von Gott enttäuscht?
Vergebung braucht Zeit, um in Ruhe zu klagen, also Gott die Dinge hinzuhalten, die einfach nicht zu ändern sind. Gott hauen die Klagen nicht um. Gott hört zu, auch zum 100. Mal. Klagen heißt auch Worte finden, inneres nach außen kommen lassen, ungeschminkt.
Es braucht Zeit, um zu trauern. Was habe ich verloren? Menschen, Ideale, Wunschträume, Lebenszeit, Kraft, Werte, Geld?
Vergeben braucht Zeit.
Ganz nah bei Gott
All das verhandle ich nicht nur mit mir selber, sondern ganz bewusst vor Gott, mit ihm, bei ihm. Ich erlebe, wie ich manchmal mitten in den Situationen stecke und dann auch wieder durch das Reden mit Gott und dem Vor-ihm-sein in eine gute und heilsame Distanz komme. Das ist anders als Wegschieben, Verdrängen, krampfhaft nicht mehr daran denken. Im Anschauen, im Zulassen, entsteht ein Raum, in dem ich zum Loslassen geführt werden kann. Und dann werde ich bereit, diesen Satz nicht nur zu kennen, sondern ihn auch zu beten: “Jesus, ich gebe mein Recht, diese Person zu verurteilen, an dich ab. Du allein sollst Richter sein.” Ich vergebe. In der Kraft Jesu. Im Wissen und Glauben, dass ER mir auch vergibt - dass ich ohne dieses Aufgerichtetwerden von IHM, die ewig Verurteilte wäre. Indem ich vergebe, verlasse ich das selbstgewählte Gefängnis. Und dann gehe ich Schritte in die Freiheit nach vorne. Bin befreit. Was nicht heißt, dass ich glaube, dass mir das nie wieder geschieht. Es bedeutet auch nicht, dass ich das, was war, plötzlich vergesse. Es ist geschehen, nur mein Blick darauf ist ein anderer geworden, auch meine Bewertung und mein Umgang damit. Ich sage ebenso wenig, dass alles gut war, nicht so schlimm, bestimmt nicht so gemeint, oder total verständlich. Ich muss nur kein Urteil mehr darüber fällen, denn das ist in anderer Hand. In der Hand dessen, der gnädig und barmherzig ist, mit mir und mit dem anderen. Das reicht.
Ich persönlich erlebe viel Trost von Gott, zum Beispiel beim Lesen von Psalmen. Der Heilige Geist ist wirklich mein Tröster. Manchmal denke ich: jetzt hat er mich berührt.
Lesetipps
Wiedenmann, H.: Drei heilsame Worte: https://www.brunnen-gemeinschaft.de/berichte/drei-heilsame-worte-ich-vergebe-dir
Lüling, C.+D.: Ein neues Herz will ich euch geben
Wolfers, M.: Die Kraft des Vergebens
Stauss, K.: Die heilende Kraft der Vergebung
Arnold, J. Chr.: Wer vergibt, heilt auch sich selbst