Die Anfänge der Pharisäer Teil I

Einblick in eine unserer monatlichen Bibelarbeiten

Johannes Schaaf: 

Es ist uns wichtig, gemeinsam mit allen BRUNNEN-Mitarbeitern geistlich weiterzukommen, das Wort Gottes vertrauter und anschaulicher werden zu lassen. Darum treffen wir uns zur Bibelarbeit. Sabine Münch, Pfarrerin in Pretzschendorf, machte sich zweimal auf die Spur der Pharisäer mit uns.
Eine interessante Frage, die ich mir noch nie gestellt habe: Woher kommen die Pharisäer eigentlich? Plötzlich werden sie erwähnt. Wie entstand diese Gruppe, von der im Neuen Testament die Rede ist, die sich mit Jesus auseinandersetzen?
Ihnen haben wir zu verdanken, dass mündlich überlieferte Teile des AT, heute in schriftlicher Form vorliegen. Wir hätten sonst nicht viel zu lesen! Die Pharisäer suchten einen Weg in der babylonischen Gefangenschaft, das ihnen so kostbare Reden Gottes lebendig zu halten.
Außerdem waren sie, beim genaueren Betrachten bei der Kreuzigung Jesu nicht so aktiv, wie wir das oft meinen. Das negative Bild, das wir haben, ist nicht gerechtfertigt. Es ist einseitig.
Persönlich lernte ich, nicht so schnell zu (ver)urteilen. 
Alles in allem lohnen sich eineinhalb Stunden Bibelarbeit pro Monat.

 

 Sabine Münch ist Pfarrerin in Pretzschendorf im Kirchenbezirk Freiberg und hat dankenswerterweise in zwei spannenden Bibelarbeiten unser Wissen über die Pharisäer erweitert.

 

Die Anfänge der Pharisäer

Die Pharisäer sind uns aus dem Neuen Testament bekannt. In jedem der vier Evangelien treten sie in Erscheinung. Jesus ist noch nicht lange unterwegs, da bekommt er es schon bald mit den Pharisäern zu tun, und sie mit ihm. Sie begleiten seinen Weg öffentlich oder heimlich (Joh 3,1) mit  Verwunderung, Ratlosigkeit und vor allem mit kritischen Fragen zur Auslegung der Tora, der fünf Bücher Mose. Häufig treten sie zusammen mit den Schriftgelehrten, den Hohenpriestern und den Sadduzäern auf.
Wir meinen, die Pharisäer gut zu kennen. Oft schon seit Kindertagen sind wir durch ein Bild und Urteil über sie geprägt.  Im Kindergottesdienst, in der Christenlehre, im Religions- und Konfirmandenunterricht, in den Bibelstunden und Predigten hören wir von ihnen. Erwachsene Ehrenamtliche zu den Pharisäern im Neuen Testament spontan befragt, äußerten:  Pharisäer sind … gesetzestreu, teilweise radikalisiert, gottesfürchtig, von sich überzeugt, schießen über das Ziel hinaus, heute teilweise Schimpfwort, die meinen es ernst, sie sind froh darüber, besser zu sein als andere, sie fordern Jesus heraus, Hüter des Gesetzes, um das Volk vor Abfall von Gott zu schützen, ihnen lag die Beziehung zu Gott am Herzen.
Im Neuen Testament tauchen die Pharisäer einfach auf. Es werden dem Leser keine Erklärungen gegeben, was das eigentlich für eine spezielle Gruppe von Juden ist, die Jesus in Streitgespräche verwickeln - und umgekehrt.  Das war zur Entstehungszeit der Evangelien auch nicht nötig, weil die damaligen Leser und Hörer die Pharisäer aus dem Alltag und der jüdischen Geschichte kannten.  Für die Christen gilt das schon lange nicht mehr. Für uns “fallen sie vom Himmel”. Wir kennen ihre Herkunft, ihre Ziele und Beweggründe, sich Pharisäer zu nennen und als solche zu leben, nicht. Dabei machen wir interessante Entdeckungen, wenn wir uns mit ihrer Geschichte beschäftigen.
Der griechische Name “Pharisäer” geht auf die Wiedergabe des hebräisch/aramäischen Wortes “peruschim” zurück und bedeutet: “Getrennte”, “Abgesonderte”. Ob sich die Pharisäer diesen Namen selbst gewählt haben, oder ob er ihnen beigelegt wurde, lässt sich nicht sagen. 
Mit diesem Begriff wird an die Frühzeit Israels angeknüpft. Als Gott sich die Kinder Israels zu seinem Volk erwählte, sprach er:  “Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der Herr, euer Gott” (3 Mose 19,2). Diesen Satz kann man auch so übertragen: “Wie ich besonders, abgesondert bin, so sollt ihr besonders, abgesondert sein.” Die Aussonderung der Kinder Israels aus den übrigen Völkern der Welt wird in zweierlei Weise kenntlich: Gott schließt mit den aus der ägyptischen Knechtschaft entronnen Israeliten einen Bund am Sinai, und er gibt ihnen dort seine schriftliche und mündliche Tora (= Anweisungen zum Leben vor Gottes Angesicht in Gerechtigkeit und Barmherzigkeit). Die schriftliche Tora (fünf Bücher Mose mit 613 Ge- und Verboten, inklusive der 10 Gebote) bedarf nach jüdischem Verständnis von Anfang an und durch alle Zeiten hindurch der je aktualisierenden Auslegung (= mündliche Tora) durch Priester und Propheten. Schon von Mose, der im Judentum als erster Prophet gilt, heißt es, dass die Kinder Israel zu ihm kommen, um Gott zu befragen (2 Mose 18,15). Das geschriebene Gesetz allein reicht nicht!
Im verheißenen Land Kanaan angekommen, erfährt auch die Gottesbeziehung Israels eine Veränderung. König Salomo baut dem Ewigen einen Tempel. Die bislang demokratisch gelebte Begegnung zwischen dem Volk Israel und Gott wird zunehmend von einem institutionalisierten und durchorganisierten Tempelkult und -personal abgelöst. M.a.W.: Das persönliche Verhältnis zu Gott wurde mehr und mehr an Profis und Spezialisten (Priester) delegiert. 
Diesem Zustand bereite Israels Exil in Babylonien (605 - 539 v.Chr.) ein jähes Ende.
 Die jüdischen Exulanten wurden in Babylon mit einem imponierenden Götterkult konfrontiert. Für sie selbst gab es keinen zentralen Versammlungs- und Kultort mehr. Die Priester waren arbeitslos geworden. In ihrer Verzagtheit und Trauer über das verlorene Land und zerstörte Heiligtum in Jerusalem (Psalm 137 + Klagelieder 5,18) fragten sie sich, was ihnen vom Gott ihrer Väter, vom Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs geblieben war.
Sie begannen, sich die Erzählungen über die Geschichte Gottes mit ihrem Volk noch einmal ganz neu in Erinnerung zu rufen. Sie überarbeiteten sie, ließen sie in ihre Zeit und Situation hineinsprechen und schrieben sie auf, um ihren Kindern und den nachfolgenden Generationen Orientierung, Unterweisung, Mahnung und Gewissheit über das Mitgehen Gottes mit seinem Volk zu geben.
In der babylonischen Verbannung ereignete sich also eine tiefgehende geistliche und theologische Erneuerung Israels. Es entstand das jüdische Schriftgelehrtentum und Lehrhäuser. Die Geburtsstunde einer Laienbewegung, die sich im Exil bewusst wurde: Wenn wir als Kinder des Gottes Israels überleben wollen, dann müssen wir uns um die Tora versammeln, sie lernen und bewahren, indem wir sie angesichts unserer gegenwärtigen, aktuellen Herausforderungen auslegen und tun. 
Nachdem die babylonische Großmacht durch die Perser besiegt wurde, erlaubte  König Kyros  538 v. Chr. den verbannten Juden, nach Israel zurückzukehren und den Tempel in Jerusalem wieder aufzubauen. Neben den Priestern, die den Wiederaufbau des zerstörten Heiligtums verfolgten, gab es nun Schriftgelehrte, die in Israel Lehrhäuser (Synagogen) gründeten, die zum “Haus des Buches” wurde.
Im Neuen Testament lesen wir, dass sich u.a. diese beide Gruppen formiert und organisiert hatten: Die Nachkommen und Anhänger der Priesterdynastie, die sich auf den Priester Zadok der davidisch-salomonischen Zeit (2 Sam 8,17 u.ö.) zurückführen und sich nach ihm benennen. Aus der Gruppe der Schriftgelehrten war die Bewegung der Pharisäer entstanden. 
Es ist offensichtlich, dass beide Gruppen unterschiedliche Ziele verfolgen und auch miteinander konkurrieren. Ein Zentralheiligtum wie der Tempel in Jerusalem stand nicht (mehr) im Vordergrund des pharisäischen Interesses. Für sie stand die “Tora für alle” wieder im Mittelpunkt, wie sie am Sinai ja dem ganzen Volk und nicht nur irgendwelchen Spezialisten zur Befolgung gegeben worden war:  “Und Mose rief ganz Israel zusammen und sprach zu ihnen: Höre, Israel, die Gebote und Rechte, die ich heute vor euren Ohren rede, und lernt sie und bewahrt sie, dass ihr danach tut!” (5 Mose 5,1). 

- Fortsetzung folgt -