Orientierungslos

Hier geht es um den dritten und letzten Punkt der „Trilogie existentieller Fragen” der heutigen Zeit, auf die wir versuchen zu antworten: Die Orientierungslosigkeit.

Schiffskapitäne, Piloten, Wanderer und die Heiligen Drei Könige haben eins gemeinsam. Sie alle haben Ziele. Jeder von ihnen ist auf dem Weg von ei-nem Punkt A zu einem Punkt B. Alle brauchen auf ihren verschiedenen Missionen Orientierung. Sonst kommen sie nicht an ihrem jeweiligen Ziel an. Dafür gibt es große Leuchttürme, horizontale und vertikale Ortung, Ferngläser, Kompasse oder die Sterne. Aber woran orientieren sich Otto und Ottilie Normal, also Sie und ich?
Was machen wir, wenn uns das Lebensgefühl plagt orientierungslos im Kreis herumzulaufen? Wenn wir Angst und Zweifel haben? Wenn wir unsicher sind, in welche Richtung es gehen soll?
Zunächst ist es ratsam, Ruhe zu bewahren, tief Luft zu holen und innerlich vor Gott zu treten, denn solche Krisensituationen sind Gefahr und Chance zugleich. Wendepunkte sind etwas Wunderbares, weil sie die Chance bieten, unser Leben oder Teile davon neu auszurichten. Jedoch ist uns das Gefühl der Verunsicherung und der Orientierungslosigkeit so unangenehm, dass wir darauf achten müssen, nicht der Versuchung zu erliegen, uns mit dem einfachsten und schnellsten Weg zufriedenzugeben. Es ist wichtig, dass wir uns ausreichend Zeit nehmen, um den für uns richtigen und besten neuen Weg zu finden.
Es gilt, Antworten auf ein paar Fragen zu geben. Diese Antworten dienen uns dann auch in zukünftig stürmischen und nebeligen Zeiten als Leuchttürme und helfen uns, wieder sicher in den Hafen der Orientiertheit zu gelangen.

Wer bin ich?
Mit dieser Frage konfrontiere ich unser Jahresteam an den meisten der Seminartage, die ich gestalten darf, weil unsere jungen Leute sich aufgrund der Lebensphase zwischen Schulbank und Berufseinstieg ja per se in einer Orientierungsphase befinden. Mir ist wichtig, dass sie herausfinden, wer sie sind, um eine Idee davon zu bekommen, wohin die Reise gehen soll.
Um unsere Möglichkeiten auszuloten, müssen wir wissen, wer wir sind. Wir müssen wissen, wie wir innerlich aufgestellt sind: Was ist meine ganz eigene Lebensphilosophie? Was hat mich geprägt? Welche Charaktereigenschaften machen mich aus? Was sind meine Stärken und Schwächen? Welche Erwartungen beeinflussen mich? Was sind meine Erwartungen an mich selbst und an andere? Und welche Erwartungen haben andere an mich? Was sind meine Grundmotive? Welche Umstände motivieren mich?
Wenn wir wissen, wer wir sind, wissen wir besser, was zu uns passt.

Was brauche ich?
Wenn unsere Bedürfnisse erfüllt sind, empfinden wir Glück und Zufriedenheit. Im Umkehrschluss bedeutet das, wir sind unglücklich und unzufrieden, wenn mindestens eins unserer zentralen Bedürfnisse unerfüllt ist. Wir können uns aber nur sinnvoll darum kümmern, wenn wir wissen, wie es heißt. Stimmt schon, es gibt hunderte! Und es kostet richtig Hirnschmalz herauszufinden, welche für uns ganz persönlich eine zentrale Rolle spielen. Es lohnt sich aber enorm zu wissen, welche Bedürfnisse wir haben, denn dann müssen wir nicht blindlinks irgendwelche Befriedigungsversuche starten, sondern können gezielt agieren.
Wenn ich weiß, dass ich das Bedürfnis habe, meine aktuell belastende Situation mit je-mandem zu teilen und Trost zu bekommen, kann ich mich auf die Socken zu einer Freundin machen oder - in Zeiten des Corona-Virus - zum Telefonhörer greifen, anstatt meinen Kummer in Nutella zu ertränken oder mich mit melancholischer Musik noch weiter in die Tiefe zu ziehen.
Wenn wir unsere Bedürfnisse kennen, können wir uns besser darum kümmern.

Was sind meine Werte?
Was ist uns eigentlich wirklich wichtig im Leben? Was ist für uns richtig und was ist falsch? Was hilft uns ganz grundsätzlich, die Dinge zu erreichen oder zu beschützen, die uns wichtig sind? In der folgenden Tabelle sind beispielhaft ein paar Werte aufgeführt. Welche davon springen uns sofort ins Auge, lösen etwas in uns aus? Und welche fallen uns ein, die gar nicht erwähnt werden? Wie ist unsere Einstellung zu den zentralen Themen in unserem Leben?
Wenn uns unsere Werte und Bedürfnisse klar sind, können wir aus all den Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, die wählen, die zu uns passen und uns tatsächlich glücklich machen.

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Was ist mein Ziel?
Wenn wir kein Ziel haben, können wir uns auch nicht verlaufen. Ohne Ziel gibt es keine Orientierungslosigkeit. Wir können also davon ausgehen, dass ein Ziel in uns steckt, wenn wir uns orientierungslos fühlen. Manchmal verlieren wir es vielleicht aus den Augen oder haben es noch nie so richtig beim Namen genannt. Dann lohnt es sich erneut, einen Moment innezuhalten und wieder Kurs auf unser Ziel zu nehmen oder es zum ersten Mal klar zu formulieren. Das fällt uns manchmal schwer und wir wissen viel besser, wohin wir auf jeden Fall nicht wollen. Das ist zwar der erste Schritt in die richtige Richtung, aber es ist noch nicht zielführend. Wir steigen schließlich auch nicht in den Bus und sagen: „Ich möchte bitte NICHT nach Stuttgart.“ Wir müssen schon wissen, wohin wir stattdessen wollen. Und an dieser Stelle dürfen wir auch mal träumen und Wünsche haben.
Wenn wir basierend auf unseren eigenen Bedürfnissen, Werten, Wünschen und Träumen mit unserem Herrn an der Seite die Frage nach unserem Ziel beantworten, sind wir auf dem richtigen Kurs.

Welche Vorbilder habe ich?
Lasst uns Bücher lesen! Von zahlreichen niedergeschriebenen Lebensgeschichten können wir lernen, worauf es ankommt. Und wir werden ermutigt, weil wir erfahren, dass alle Menschen Schwierigkeiten und Hindernisse bewältigen müssen. Damit sind wir wirklich nicht alleine. Die Storys anderer helfen dabei, einen realistischen Eindruck davon zu bekommen, wie schwer und zugleich hoffnungsvoll es sein kann, seinen Weg über die Stolpersteine des Lebens hinweg zu finden.

Zugegeben, bei all diesen Fragen klingeln einem ganz schön die Ohren. Aber wer hört nicht lieber ein Klingeln, als irgendwo unsicher und verzweifelt im Nebel herumzustochern?
Wenn wir auf all diese Fragen eine klare Antwort haben, dann fühlen wir uns nicht mehr überfordert, orientierungslos, zweifelnd und unentschlossen. Wenn wir verstanden haben, was wir wirklich wollen. warum wir es wollen und das Gott stets an unserer Seite ist, dann hat unser Leben Sinn, Richtung und Ziel.
Bleibt auf Kurs!